Der Chen-Stil und seine Übungsmethode
Das Übungssystem des Chen-Taichi baut auf fünf Säulen auf. Eine typische Unterrichtseinheit besteht daher nach einigen Aufwärmübungen aus Anteilen aller fünf Säulen, wobei die Säulen 1 - 3 den Schwerpunkt bilden. Partnerübungen ergänzen den Unterricht auf Wunsch der Teilnehmer.
- 1. Die Steh-Meditation (Zhan Zhuang)
- 2. Die Seiden-Übungen (Chansigong)
- 3. Die Formen (Taolu)
- 4. Die Partner-Übungen (Tuishou)
- 5. Die freien Anwendungen / Kampfkunst
1. Die Steh-Meditation (Zhan Zhuang)
Zhan Zhuang lässt sich als "Stehen wie ein Pfahl" bzw. "Stehen wie eine Säule" übersetzen. Es bildet die Grundlage des Taichi und ist eine stille, meditative Übung ("Stehendes Zen"). Sie zielt darauf, den Geist in Stille und den Körper in Harmonie zu bringen. In aufrechter Haltung mit erhobenen Händen und leicht gebeugten Knien entspannen wir von Kopf bis Fuß und versuchen sämtliche Teile des Körpers mit dem Körperschwerpunkt (Tantien) zu verbinden. Das entspannte, durchlässige und verbundene Körpergefühl aus dem Zhan Zhuang wollen wir in den bewegten Übungen und Formen so gut es geht aufrecht erhalten.
2. Die Seiden-Übungen (Chansigong)
Die Chansigong oder auch Seiden-Übungen sind ein Set aus 19 Grundübungen. Mit ihnen üben wir die besondere Art des Bewegens im Chen-Taichi. Die Übungen sind äußerlich einfach zu erlernen und bilden doch einen tiefen, sich nie erschöpfenden Schatz.
Die Körperhaltung und innere Ruhe, die wir in der Steh-Meditation (Zhan Zhuang) geübt haben, setzen wir durch die Chansigong in Bewegung um. Ziel ist es, den Fluss der inneren Energie Chi mit der äußeren Bewegung des Körpers zu harmonisieren. So verstehen wir nach und nach, den Körper "aus der Mitte" heraus zu bewegen.
Bildlich gesprochen könnte man es so ausdrücken: Die Seiden-Übungen sind wie das "Alphabet" des Taichi. Aus diesen Buchstaben lassen sich Wörter bilden - die einzelnen Bewegungen und Stellungen. Die wiederum setzen wir nach und nach zu einer Geschichte zusammen - die Formen des Taichi.
Die Seiden-Übungen sind ein wunderbares Werkzeug, um den inneren Motor des Taichi zu verstehen und zu kultivieren. Sie schulen die Koordination und schärfen das Gespür für die Ausrichtung des Körpers und der Gelenke. Aus dieser fein abgestimmten Art des Bewegens und der optimierten Körperstruktur erlangt das Taichi seine eigentliche Stärke.
3. Die Formen (Taolu)
Die Formen sind festgelegte Bewegungsabläufe, die einzelne Figuren bzw. Stellungen in einem kontinuierlichen Bewegungsfluss miteinander verknüpfen. Sie bilden das eigentliche Herzstück des Taichi.
Die Formen zu üben und zu verfeinern ist der Weg, um die wohltuende Wirkung des Taichi auf Körper und Geist zu erfahren. Zusammen mit den Seiden-Übungen ermöglichen sie es, die Bewegungsprinzipien des Taichi zu verinnerlichen und damit ihre gesundheitsfördernde Wirkung zu entfalten. Zugleich legen sie die Grundlage für die Anwendbarkeit des Taichi in der Partnerarbeit.
Beginn und Hauptaugenmerk in unserem Chen-Stil liegt auf der Laojia Yilu, der ersten Form des alten Rahmens. Sie ist ein Bewegungsablauf aus 75 Figuren, dessen Ausführung etwa 20 bis 30 Minuten dauert. Sie wird langsam und gleichmäßig geübt. Nach dem Erlernen des "äußeren" Ablaufs wird die Form immer weiter verfeinert und vertieft - ein nie endender Lernprozess, der zu immer neuen Erkenntnissen führt. Mit der Form üben wir Geschmeidigkeit und Ruhe, Zentriertheit und spiralige Bewegung, Verwurzelung und Fokussiertheit.
Neben dieser ersten, langen Form gibt es verschiedene kürzere wie längere Handformen, die unterschiedliche Aspekte des Taichi betonen. Die Laojia Erlu, die zweite Form des alten Rahmens, enthält zahlreiche schnelle, explosive Bewegungen ("fajin") und macht die kämpferische Seite des Taichi erfahrbar. Wenn zum Beispiel nach einem langen Arbeitstag die erste Form zu konzentriert und ermüdend ist, mag ein schnell und dynamischer Durchgang durch die zweite Form die Lebensgeister wieder wecken. Ist man hingegen ohnehin aufgekratzt, kann die langsame erste Form ausgleichend und beruhigend wirken. So gesehen bietet das Taichi für alle Stimmungen und körperlichen Verfassungen das richtige Angebot.
Neben den Handformen gibt es zahlreiche Waffenformen. Die Grundlage bilden hier die vier klassischen, chinesischen Waffen, also Schwert und Säbel, Langstock/Speer und Hellebarde.
Auch die Waffenformen bleiben dem Grundprinzip des Taichi treu, das heißt wir üben entspannt, verbunden und aus der Körpermitte heraus.
Zugleich besitzt jede Waffe auch eine eigene Charakteristik. Das Schwert ist eine elegante, fließend geführte Waffe, während der Säbel durch seine hackenden, direkten Bewegungen den Einsatz auf den Schlachtfeldern vergangener Zeiten ahnen lässt. Der Speer vollführt zahlreiche wirbelnde Bewegungen und erfordert einiges an Geschick. Die Hellebarde ist allein durch ihr Gewicht eine körperlich herausfordernde Waffe. Alle Waffenformen trainieren Körperkoordination wie auch Kraft und Beweglichkeit und sind eine wunderbare Ergänzung zu den Handformen.
4. Die Partner-Übungen
In den Partner-Übungen setzen wir die Bewegungs-Prinzipien des Taichi in der Interaktion mit einem Partner um.
Auch hier bemühen wir uns, entspannt und zentriert zu bleiben. Während wir zuvor die Harmonie von Yin und Yang in uns selbst gesucht haben, versuchen wir nun, diese Harmonie im Zusammenspiel mit einem Partner zu finden.
Typisch für die Partner-Übungen sind fließende, weiche Bewegungen, bei denen die Partner auf runde, harmonische Weise mit- und umeinander kreisen.
Die Partner-Übungen des Taichi werden oft Tui Shou genannt: schiebende Hände. Die Grundlage bilden auch hier festgelegten Bewegungsabläufe. Sie werden sanft und miteinander ausgeführt. So kann man ohne Verletzungsgefahr in den Austausch mit einem Partner gehen.
Wer möchte, kann aber auch Druck und Geschwindigkeit erhöhen. Die Partner-Übungen werden so zum freundlichen Wettspiel um Härte und Weichheit, um Gleichgewicht und Verbundenheit.
Neben den festgelegten Choreografien gibt es auch freie Partner-Übungen. Dabei werden die choreografierten Abläufe durch ein freies Spiel ersetzt.
Es gibt Partner-Übungen mit einem und mit zwei Armen, mit und ohne Schritte.
5. Die freien Anwendungen / Kampfkunst
Taichi ist Gesundheitsübung und zugleich auch Kampfkunst, wobei beides miteinander verwoben ist. Während im Üben zumeist die Gesundheitspflege und das Verstehen der Körpermechanik im Vordergrund steht, kann man genauso sein Augenmerk auf die kämpferischen Aspekte des Taichi legen. Alle Bewegungsbilder der Formen enthalten unzählige kämpferische Anwendungen, darunter Schläge, Tritte, Hebel und Würfe. Sie zu kennen und gegebenenfalls zu üben, hilft dabei, das Verständnis und die Fokussierung im Taichi zu vertiefen.